Bürger- und Heimatverein Heven e.V.
                                    gegründet 07.02.1897
 
 
   

 

 

 
 Heven 
  Ruhr

 
 

Bombardierung der Möhnetalsperremauer

 
 

(aus : Heven - einst und jetzt, Heft 3)

Jörgen Beckmann / Klaus Beilmann
Die Bombardierung der Staumauer des Möhnesees und die Auswirkungen im Hevener Ruhrtal

In der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 1943 flog die Royal Air Force überraschend Tiefangriffe aus etwa 18 m Höhe auf die Staumauern der Möhne-, Sorpe- und Edertalsperre. Damit wollten die Alliierten im II. Weltkrieg die deutsche Rüstungsindustrie erheblich schwächen. Die "Lancaster" der Royal Air Force warfen dabei mit einer Anfluggeschwindigkeit von 380 km/h 383 m vor der Staumauer 4t schwere Spezialbomben ab, und zwar sogenannte Rollbomben, die im Flugzeug kurz vor dem Abwurf in gegenläufige Rotationen mit 500 Umdrehungen pro Minute gebracht wurden. Dadurch hüpften die Bomben nach dem Kontakt mit der Wasseroberfläche in 60 m Sprüngen über die vor der Staumauer installierten Sicherungsanlagen und -netze und gelangten somit direkt an die Staumauer. Hier sorgte nun die Rotation der Bomben dafür, daß diese auf der Wasserseite an der Staumauer hinunterrollten und mittels eines eingebauten Druckzünders in 10 m Wassertiefe explodierten, denn dort entfalteten sie im direkten Kontakt mit der Staumauer ihre optimale Sprengwirkung.

Während der Erddamm der Sorpetalsperrrmauer den Angriffen standhielt, wurde die Möhnetalsperrmauer, die zwischen 1908 bis 1913 aus Bruchsteinen erbaut worden war, gegen 0.49 Uhr durch eine Rollbombe in etwa 10 m Wassertiefe so getroffen, daß der obere mittlere Teil der Sperrmauer auf 77 m Länge und 22 m Tiefe brach.


Möhnetalsperre (Ruhrtalsperrenverein)

 

Innerhalb von 12 Stunden flossen daraufhin 116 Millionen cbm von den im Möhnestausee befindlichen 132,2 Millionen cbm Wasser aus. Die durch die Bombardierung plötzlich freigesetzten Wassermassen entsprachen dem 40-fachen Inhalt des Kemnader-Stausees. Während dieser kurzen Zeitspanne strömten also 88 % der Wasservorräte des Möhnestausees aus.

Im Möhnetal maß man eine Flutwelle von 10 m Höhe, und als diese dann nach etwa 25 Stunden über das Ruhrtal zum Rhein gelangte, zeigte selbst dieser noch Hochwasser. Man schätzt, daß anfänglich 8800 cbm Wasser pro Sekunde durch das Bombenloch in der Möhnetalsperrmauer ins Tal stürzten. Die daraus resultierende Flutwelle zerstörte bis in einer Entfernung von über 50 km sämtliche im Möhne- und folgenden Ruhrtal befindlichen Brücken, Anlagen und Häuser. Erst hinter Hattingen endete die zerstörerische Wirkung dieses Hochwassers.

Durch die Flutwelle wurden

 

a) getötet:

545 Deutsche (146 Männer, 262 Frauen, 137 Kinder) und

749 Fremdarbeiter und Gefangene

 

b) als Verlust gemeldet:

571 Stück Großvieh (Rinder, Pferde),

7 Kälber,

625 Schweine,

5113 Stück Kleinvieh, und

33 Bienenvölker

 

c) völlig zerstört:

das Hauptkraftwerk an der Staumauer,

2 kleine Kraftwerke im Möhnetal,

7 Stauwehre,

7 Eisenbahnbrücken,

30 km Eisenbahnlinie,

18 Straßenbrücken,

11 Fabriken, 95 Wohnhäuser und

2822 ha landwirtschaftl.Nutzfläche

 

d) schwer beschädigt:

12 Kraftwerke,

25 Wasserwerke,

3 Kläranlagen,

2 Eisenbahnbrücken,

7 Straßenbrücken,

41 Fabriken, 20 km Straßen,

248 Wohnhäuser und

15 ha landwirtschaftl. Nutzfläche

 

e) mittelschwer beschädigt:

12 Straßenbrücken,

40 Fabriken,

134 Wohnhäuser und

1236 ha landwirtschaftl. Nutzfläche

Da die Alarmmeldungen aufgrund der Zerstörungen nicht schnell genug weitergegeben werden konnten, kamen in unteren Möhne- und mittlerem Ruhrtal 1294 Menschen in der Flutwelle ums Leben. Unter ihnen waren auch ein Bommeraner und zwei Herbeder. Heven hatte keine Toten als Folgen der Katastrophe zu beklagen, dagegen aber mehrere zerstörte Häuser.

 

Alliierte Erfolgsmeldung am 18.5.1943 in "The Daily Telegraph"

 


Das Loch im Staudamm war 77 m lang, 105 m mußten jedoch erneuert

 


                                                                                                                                                                 ( Möhnetalsperre 2013)

 

In Heven erreichte das Hochwasser etwa gegen 11.00 Uhr morgens seinen Höchststand. Die Hevener Bauern und Bürger waren noch früh genug von der Polizei vor den herannahenden Wassermassen gewarnt worden. So konnten die Pferde und Rinder noch rechtzeitig aus den gefährdeten Ruhrweiden in die Stallungen geholt und die Häuser an der Insel und in der Lake geräumt werden. In allen Haushaltungen konnte noch für genügend Trinkwasservorräte gesorgt werden, denn während der Überschwemmung mußten bis hin nach Essen die Trinkwassergewinnungsanlagen schließen. Somit war für das Gebiet zwischen Hamm, Hagen und Bochum die Wasserversorgung vorübergehend zusammengebrochen. In Witten war sie nur für 33 Stunden ausgefallen; danach mußte das Leitungswasser bis hin zum 2.Juni vor Gebrauch abgekocht werden.

Herbert Kerkes, der zur Zeit der Katastrophe Soldat war und während seines Fronturlaubes bei seinen Eltern auf der Insel (in Heven) weilte, erinnert sich wie folgt:

Die erste Warnung "es gibt Hochwasser" erhielten die Inselbewohner gegen 6.30 Uhr vom Betriebsleiter der nahegelegenen Kläranlage. Etwa eine halbe Stunde später wurden die Bewohner der Insel von der Polizei aufgefordert, die dortigen Häuser von allen Personen zu räumen, weil die Möhnetalsperre vergangene Nacht bombardiert worden sei. Keine 30 Minuten später wurde allen Inselbewohnern klar, daß sich hier eine Katastrophe anbahnte, denn der Wasserspiegel der Ruhr stieg sprunghaft an. Die aufkommende Flut trieb Holz und andere Gegenstände vor sich her. Die meisten Bewohner der Häuser an der Insel hatten sich früh genug an dem Hang des unteren Kleffs, der im Volksmund auch "Hippentempel" genannt wurde, in Sicherheit gebracht. Die auf der Insel zurückgebliebenen Bewohner waren der Fährmann August Rosendahl, August Dönhoff mit Tochter, Sohn, Nachbarin Glas und Nachbarn Kathagen sowie die beiden Brüder Herbert und Ernst Kerkes. Herbert hatte vor zwei Tagen von der Ostfront kommend seinen Heimaturlaub angetreten. Als August Rosendahl bemerkte, daß sein Haus (das Schleusenwärterhaus) durch das Eindringen der Wassermassen unbewohnbar wurde, stieg er in seinen Kahn und band diesen an einem Baum hinter dem von Dönhoff bewohnten massiv gebauten Haus fest, nachdem er seine Nachbarn Dönhoff, Glas und Kathagen in letzter Sekunde durch Aufnahme in sein kleines Boot gerettet hatte. In dieser bedrohlichen Lage mußten die sechs bis zum späten Nachmittag in dem Kahn ausharren, denn gegen die starke Strömung kamen sie rudernd nicht an. Die Gebrüder Kerkes hatten das von ihren Eltern bewohnte Fachwerkhaus nicht verlassen. Als die ansteigende Flut sie bedrohte, hatten sie versucht, das sich an der Hausfront anstauende Treibholz durch eine Luke im Giebel abzustoßen. Durch die schnell ansteigenden Wassermassen wurde der Druck auf das Haus jedoch so stark, daß es in allen Fugen krachte und wegen seiner Unterkellerung unterspült wurde. Somit zogen sich die beiden Brüder Kerkes auf den angrenzenden nicht unterkellerten Stall zurück. Von hier aus beobachteten sie, wie ein Haus nach dem andern in unmittelbarer Nachbarschaft von den Fluten hinweggerissen wurde. Bei jedem Hauszusammenbruch stieg eine riesige Staubwolke auf. Das Fachwerkhaus der Familie Kracht hob sich von seinem Fundament ab und wurde ein Stück von der Strömung mitgetragen, bevor es in sich zusammenstürzte.

Erst am späten Nachmittag war das Hochwasser soweit zurückgegangen, daß die acht im Kahn bzw. auf dem Stalldach ausharrenden Inselbewohner wieder sicheren Boden unter den Füßen hatten. Gegen Abend war die Ruhr wieder ein friedlicher Fluß. Nur die Schlamm- und Geröllmassen sowie die Zerstörungen zeugten noch von der vorangegangenen Katastrophe. Viele Hevener hatten sich das traurige Ereignis aus sicherer Distanz vom Kleff aus angeschaut. Die Unterbringung und Versorgung der obdachlos gewordenen Inselbewohner erfolgte in der Lakeschule sowie privat bei Bekannten bzw. Verwandten.

Die Höhe des Hochwassers mit 6,98 m und die Größe seiner Verheerungen waren weitaus größer als die des bisher höchsten bekannten Hochwassers des Jahres 1890 m. Trotz der Schwierigkeiten der Materialbeschaffung während des Krieges wurde die Möhnesperrmauer noch im selben Jahr, und zwar am 25.September 1943 wieder fertiggestellt. Der Möhnestausee konnte nach nur 130 Tagen erneut eingestaut werden.

Aus der Sicht des Angreifers war die Zerstörung der Möhnestaumauer ein großer Erfolg, denn er schränkte die Arbeitsfähigkeit der Ruhrgebietsindustrie stark ein. Doch durch den schnellen Wiederaufbau des Staudammes war der Zusammenbruch der hiesigen Wirtschaft gebannt. Das Ziel der militärischen Strategie der damaligen Alliierten, weite Industriebereiche im Ruhrgebiet lahmzulegen, um somit einen Großteil des militärischen Nachschubwesens der deutschen Wehrmacht zu unterbinden bzw. auszuschalten, wurde nicht erreicht.

 


17.5.1943

Blick ruhrabwärts vom Vormholzer Hang "Ein Bäumchen" aus: Wie eine Insel erscheinen die Siedlung und die Brennerei in der Lake. Die Wassermassen reichen bis an den Kalweshang in Querenburg und in das untere Ölbachtal. Selbst die Häuser an der Luhnmühle werden allseitig von Wasser umflossen. Rechts von der Mitte liegt die Zeche Klosterbusch, von der der Kamin und Steinbruch sowie der daran grenzende Kalwes-Busch sichtbar ist.

Die Ausmaße des Hochwassers übertreffen die Größe des heutigen Kemnaderstausees bei weitem.


17.5.1943

Etwa 100m ruhrabwärts der neuen Ruhrbrücke Heven-Herbede: Im Vordergrund liegen die Gebäude des ehemaligen Anwesens NEHRING. Im Hintergrund links des Hauses ist die Federnfabrik DITTMANN & NEUHAUS zu erkennen. Die Nehringschen Gebäude waren vom Hochwasser stark beschädigt und wurden später abgerissen. Die vordere mit Wasser überspülte Fläche dient heute als Parkplatz für Besucher des Kemnader-Stausees.

 


17.5.1943

Blick auf die Schleuse vom Bruns-Berg aus:

Die Häuser "an der Insel" stehen tief im Hochwasser. Ein Teil von ihnen wird dadurch so stark beschädigt, daß sie anschließend unbewohnbar waren und abgerissen werden mußten. Das "alte Fährhaus" von Rosendahl, das am linken oberen Bildrand zu erkennen ist, hielt dem Wasserdruck stand.

Technische Daten der Möhnetalsperre

Stauinhalt: 134 500 000 cbm

mittl.jährl.Zufluß: 204 500 000 cbm

Stauzielhöhe über N.N.: 213,74 m

Ausgleichsspeicher " ": 183,60 m

Seeoberfläche: 1 037 ha

Einzugsgebiet: 43 600 ha

Mauerinhalt: 267 000 cbm

größte Mauerhöhe: 40,30 m

größte Mauerbreite: 34,20 m

Krümmungsradius: y² = 1000 x

Kronenlänge: 650 m

Kronenbreite: 6,25 m

überströmb.Kronenlänge: 262,50 m

mittl.Leistung der beiden Kraftwerke am Staudamm: 14.800.000 kWh/Jahr

 

als Vergleich die technischen Daten des hiesigen Kemnader Stausees

Stauinhalt 3 000 000 cbm

Stauziel über N.N. 72 m

Stauhöhe 2,6 m

4 Wehrfelder a 25 m = 100 m

maximaler Durchlaß 2300 cbm/s

Wasserfläche 125 ha

Staulänge 3 km

 

 

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